Architektur und Kultur(geschichte) erleben: Die Sixtinische Kapelle im Vatikan

Sixtinische_Kapelle

Decke der Sixtinische Kapelle (Quelle: Wikipedia)

Von außen vom quirligen Petersplatz aus betrachtet ist die weltberühmte Sixtinische Kapelle im Vatikan kaum zu erkennen bzw. erstaunlich unscheinbar. Im Gegensatz zum beeindruckenden und mit großen Bildern geschmückten Vorbau des gigantischen Petersdoms erscheint der sagenumwobene Ort der Papstwahl (Konklave) aus der Ferne wie ein gutes und recht kleines ‚Versteck‘ für die geheime Wahl des katholischen Kirchenoberhauptes: Eine eher hausdachähnliche Kuppel mit geziegeltem Dach lässt nicht vermuten, welche beeindruckenden Malereien sich im Inneren befinden. Der Schornstein, der im Zuge der Papstwahl durch schwarzen oder weißen Raum das Ergebnis verrät, ist übrigens normalerweise nicht zu sehen. Einen besonderen Reiz übt die Unzugänglichkeit der Kapelle auf: Sie kann nur bei einem Besuch der Vatikanischen Museen bestaunt werden. Auch für nicht Museums-Gänger ist alleine der Weg durch endlose Gänge mit herrlichen Deckenmalereien eine wunderbare Art, dem Alltag zu entfliehen und Spannung aufzubauen, schließlich wartet mit dem Besuch des Ortes der Papstwahl ein nicht alltägliches Ziel.
Alleine die versteckte Lage der Kapelle übt einen Reiz aus: Nach einem ausgedehnten Marsch durch die Vatikanischen Museen verweist plötzlich ein unscheinbares Schild auf den kleinen Zugang zur Sixtinischen Kapelle. Durch eine kleine Tür gehend eröffnet sich plötzlich eine beeindruckende Größe, die von außen bzw. von Fernsehbildern her zu urteilen nicht zu vermuten gewesen wäre. Die Deckenhöhe der Kapelle (21 Meter) lässt ihr eine gewisse majestätische Wirkung zukommen, die ihrer Funktion mehr als angemessen erscheint. Insgesamt ist die Sixtinische Kapelle aufgrund ihrer rechteckigen Form und der geraden Bauweise rein architektonisch recht unspektakulär, doch die weltberühmten Wandmalereien sorgen für eine beeindruckende Ausstrahlung, der man sich als Besucher kaum entziehen kann. Obwohl die Kapelle recht groß ist, ist sie meistens voll von Besuchern: Dennoch ist es erstaunlich ruhig, denn die Köpfe fast aller ragen staunend in die Höhe: Detailreich und farbenfroh präsentieren sich weltbekannte und sagenumwobene Deckengemälde in luftiger Höhe, wobei vor allem das ‚Jüngste Gericht‘ von Michelangelo auf der gegenüberliegenden Seite der großen Holztür die Blicke für viele Sekunden fesselt. Diese Tür ist für Besucher fest verschlossen, sie regt aber die Fantasie an, denn durch diese später versiegelte Pforte treten die Kardinäle zur Papstwahl ein.

Auch ein eher kurzer Besuch sorgt für bleibende Eindrücke. Insgesamt präsentiert sich die Sixtinische Kapelle mit einer gewissen majestätischen Schlichtheit, denn im Gegensatz zu den Wand- und Deckenmalereien ist der Innenraum bis auf einige Sitzbänke komplett leer. Lediglich eine Art Raumteiler durchbricht die gefühlt endlose Weite dieser an sich recht kleinen Kapelle im Herzen des Kleinstaates Vatikan. Als Besucher stellt sich unwillkürlich das Gefühl ein, einen besonderen Ort zu betreten. Wäre der Besucherstrom nicht so groß, könnte man sich stundenlang in den filigranen Details der Malereien verlieren. Die Sixtinische Kapelle ist der Beweis dafür, dass selbst architektonisch unspektakuläre Gebäude nicht zuletzt aufgrund ihrer Geschichte und Innengestaltung eine kaum in Worte zu fassende Wirkung entfalten können.

Wohnen, wo andere nur staunend gucken: Die Waldspirale in Darmstadt

Waldspirale Darmstadt

Quelle: Wikipedia

Die Wohnsiedlung Waldspirale in Darmstadt ist ein auf den ersten Blick beeindruckendes architektonisches Bauwerk mit hohem künstlerischem Wert. Was sich für Besucher der Stadt als eine unvergessliche Sehenswürdigkeit entpuppt, ist für die Anwohner der außergewöhnlichen Wohnsiedlung täglich erlebbare Realität. Schon von weitem ist der farben- und formenfrohe Stil von Hundertwasser zu erkennen, der den Häusern einen unverkennbaren Stempel aufdrückt. Ohne auf die zahlreichen verspielten Details der Fassade zu achten, hat man als Betrachter sofort das irreale Gefühl, auf ein von Kinderhand gezeichnetes Märchenschloss zu schauen. Doch in Wirklichkeit handelt es sich im einen modernen Wohnblock in sehr beliebter Lage.

Farbenfroh, expressiv, abwechslungsreich und traumhaft: Jeder Blick enthüllt neue Details

Im gesamten Gebäudekomplex der Waldspirale in Darmstadt befinden sich 105 Appartements. Während der Innenraum individuell gestaltet werden kann, gleicht von außen buchstäblich kein Fenster dem anderen. Einen besonderen Blickfang bilden die goldenen Zwiebeltürme, die das Gebäude überragen. Alleine die optisch schnell feststellbare Tatsache, dass alle Fenster unterschiedlich sind, bricht mit der gängigen Erwartungshaltung in Bezug auf einen Wohnblock. Lässt man den Blick von diesen Details auf das gesamte Gebäude schweifen, so wird ersichtlich, dass die Natürlichkeit der Landschaft sich im Gebäude widerspiegelt: So wurde beispielsweise das Dach der Anlage mit verschiedenen Baumarten bepflanzt, was den verspielten Charakter auf natürliche Weise untermalt. Ganz in diesem Sinne warten im Garten ein einladender Spielplatz und ein künstlich angelegter Fluss auf die Bewohner. Alleine diese wenigen Details wecken eine nicht zu leugnende Faszination für das auffällige Gebäude. Zudem wird das Interesse des Besuchers unwillkürlich angeregt: Wie lebt es sich wohl in diesem ‚Traumhaus“? Verliert die detailreiche Gestaltung irgendwann ihren Reiz? Oder ist der Anblick jedes Mal aufs Neue aufregend? Diese Frage scheint berechtigt, denn ein Blick auf die vielen Details und Ungleichheiten kann schon ermüdend sein.

Die Waldspirale macht das Aufeinandertreffen von Architektur und Kunst erlebbar

Der österreichische Künstler Hundertwasser ist weltweit für seinen expressiven Stil bekannt, aber in der Darmstädter Waldspirale können die Bewohner diesen im wahrsten Wortsinne als Teil ihres Alltags (er)leben. Auf den zweiten Blick, nachdem die Formen- und Farbenvielfalt einigermaßen verdaut ist, wird erkennbar, dass rechte Winkel und gerade Linien fehlen. Dafür aber wird das Gebäude mit Zwiebeltürmen, Spiralen und bunten Säulen in eine zauberhafte Atmosphäre gehüllt. Das Fehlen von rechten Winkeln und geraden Linien in Kombination mit der farbenfrohen Fassade lässt ein Gefühl von Freiheit aufkommen. Es drängt sich das Gefühl auf, den Alltag hinter sich zu lassen. Und dies selbst, wenn man als Besucher nur einen Blick auf das imposante Gebäude wirft. Ein nicht erkennbares Muster bei der Größe und Form der Fenster und auf dem Gebäude emporragende Bäume machen ganz deutlich, dass diese Art des Wohnens alles außer gewöhnlich ist.

Ein bewohnbares Kunstobjekt: Schon ein Besuch der Anlage hinterlässt einen tiefen Eindruck

Dieses Gebäude wühlt auf, es beschäftigt den Betrachter unwillkürlich: Wir sind es aufgrund unserer Alltagserfahrungen nicht gewohnt, ein so großes Gebäude mit 1000 unterschiedlichen Fenstern zu sehen. Wer in klaren Formen und Strukturen denkt, wird mit Blick auf dieses Kunstwerk schnell an seine Grenzen stoßen. Zwar ist der Wunsch nach Individualität in aller Munde, aber möchte man in seiner eigenen Wohnung viele unterschiedliche Fenster haben? In diesem Wohnkomplex kann Kunst gelebt werden. Es ist keine Übertreibung, dies zu behaupten. Wer keine Bekannten dort hat, kann das Gebäude nur von außen begutachten, was reichlich visuellen Input zur Verfügung stellt. Aber gerade dadurch wird die Fantasie beflügelt. Die Wohnungen im Inneren mögen bis auf die unterschiedlichen Fenster recht ’normal‘ sein. Doch wie lebt es sich hinter einer solchen Fassade? Hat die Kunst einen Einfluss auf die Wohnqualität? Diese Fragen mögen sich beim lohnenswerten Besuch der Waldspirale stellen, letztlich können sie aber nur von den Bewohnern selbst beantwortet werden.

Beitrag zur Blogparade #Raumgefühl: Architektur denken von Anetts Stadtsatz Blog

Das Raumgefühl an meinem neuen Arbeitsplatz

Plissee Livoneo

Quelle: Livoneo.de


Das neue Büro ist in einem großen Gebäude in der Nähe des Hafens in der Hamburger City untergebracht. Hohe Mauern aus roten Backsteinen von außen und innen ein sehr hoher Fahrstuhl aus Glas, der als Besonderheit einen verglasten Extra-Halt auf dem Dach des Gebäudes bietet, so dass man auf Wunsch einen gratis Rundumblick über einen Teil des Hamburger Freihafens genießen kann. Das Aussteigen ist hier allerdings nicht möglich.

Als ich meine neue Arbeitsstätte zum ersten Mal betrete, weht mir beim Öffnen der Tür ein leichtes Aroma von Druckerschwärze in die Nase. Der Raum öffnet sich vor meinen Augen, fast vier Meter hohe Decken, viel Fläche, viel Licht. Weiße Wände, ein heller Boden aus poliertem Beton, vereinzelt Schränke aus dunklem Holz. Arbeitsplätze mit mobilen, stoffbezogenen Trennwänden, so dass die Gespräche und das Klingeln der Telefone gedämpft werden und jeder Mitarbeiter seine Privatsphäre hat. Jeder Arbeitsplatz hat ein großes Fenster, welches einen wunderschönen Ausblick auf die umliegenden Gebäude bietet. Da durch die großen Flächen aber auch viel Licht einfällt, ist jedes dieser Fenster mit einem bunten Sonnenschutz geschmückt. Ich verwende das Wort geschmückt ganz bewusst, denn da die Firma (meine neue Firma) Sonnenschutzanlagen verkauft, ist jede einzelne Wand eine Art Werbefläche für ein ganz bestimmtes Produkt.

Wenn man den Raum betritt, fällt der Blick als erstes auf die gegenüberliegende Fensterfläche, wo viele hohe, schmale Scheiben mit Plissees ausgestattet sind. Jedes Plissee hat eine andere Farbe und einen anderen Tranzparenzgrad, jedes ist unterschiedlich  – aber die Farben sind so geschickt zusammengestellt, dass der Anblick wie ein gigantisches, modernes Gemälde wirkt. Das einfallende Sonnenlicht wird durch jeden einzelnen Abschnitt so gefiltert, dass sich farbige Streifen über den Fußboden des gesamten Büros bis hin zur Eingangstür ziehen – es ist wunderschön anzusehen!

Die Fenster der linken Wand sind mit Jalousien versehen – allerdings nicht die klassischen Alu-Jalousien, sondern Varianten in unterschiedlichen Holztönen und –maserungen. Die Wirkung ist interessant, denn obwohl ich mich in einem sehr modernen Raum befinde, ruft der Anblick Impressionen aus der Kolonialzeit hervor.

Auf der rechten Seite vor den Fenstern dann Rollos und Doppelrollos im Wechsel, und auch hier sind die Farben so geschickt zusammengestellt, dass die Wirkung schon fast die einer Kunst-Installation ist. Die Doppelrollos mit ihren hintereinander liegenden Stoffschichten mit abwechselnd transparenten und blickdichten Streifen bieten unendliche viele Möglichkeiten, den Durchblick zu regulieren, und die Trennungen zwischen den Stoffstreifen wirken in dieser Masse so, als ob jemand mit dem Zeichenstift am Werk war.

Nur mit Mühe kann ich mich von diesem Anblick losreißen und mich wieder auf das Leben um mich herum konzentrieren. Anhand der Vielzahl der Mitarbeiter und der klingelnden Apparate ist auszumachen, dass es viel Arbeit gibt und alle gut zu tun haben.

Endlich bemerkt mich ein junger Mann, löste sich aus seiner Gruppe und kommt auf mich zu, um mich zu begrüßen und mir alles zu zeigen. In dem Moment, als er mir die Hand gibt, vibriert der ganze Fußboden, da gerade eine U-Bahn unter dem Gebäude hindurch fährt und dies bis in den dritten Stock zu spüren ist. An dieses Gefühl sollte ich mich schnell gewöhnen.

Beitrag zur Blogparade #Raumgefühl: Architektur denken von Anetts Stadtsatz Blog